Lucas Zeise : Der Kapitalversteher - brand eins online

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    Après son départ à la retraite le journaliste d’économie auprès de Financial Times Deutschland et Börsen-Zeitung lève le voile de son secret : Il est membre du parti communiste allemand DKP depuis 1973.

    Ein großer Finanzjournalist hält einer kleinen, bedeutungslos gewordenen kommunistischen Partei die Treue. Seine Mitgliedschaft in der DKP verbirgt Lucas Zeise über Jahrzehnte – auch weil er dem vertrackten Kern des Kapitalismus möglichst nahe kommen will: Geld.

    Text: Jens Bergmann

    • Lucas Zeise hat als Treffpunkt das Café Laumer im Frankfurter Westend vorgeschlagen. Theodor W. Adorno und andere prominente Linke waren in den Fünfziger- und Sechzigerjahren hier Stammgäste, damals hieß das Laumer im Volksmund Café Marx. Ein passender Ort für den 74-Jährigen, um aus seinem Leben zu erzählen – das in weiten Teilen ein Doppelleben war. Zeise ist ein charmanter, kluger und mit Humor gesegneter Mann. Früher, als Leiter des Ressorts „Kapitalmärkte“ bei der »Börsen-Zeitung«, kam er gern mit einem Epos von Homer unterm Arm in die Redaktion. 1999 gehörte er zum Gründungsteam der »Financial Times Deutschland«, wo er später eine einflussreiche Kolumne schrieb. Diese Karriere war nur möglich, weil er jahrzehntelang etwas geheim hielt: seine Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).

    Als er die Tarnung ablegte und bei der Europawahl im Jahr 2014 für seine Partei antrat – chancenlos, „es ging nur darum, die Fahne hochzuhalten“ –, soll ein Beben durch die »Börsen-Zeitung«, das Hausblatt des deutschen Finanzkapitals, gegangen sein. Der ehemalige Kollege: ein Kommunist!

    Ein langjähriger Weggefährte, der heute eine Führungsposition in der Finanzbranche innehat, seufzt: „Muss es ausgerechnet die DKP sein?“ Eine Splitterpartei, die bis zur Wende maßgeblich von der DDR finanziert und gesteuert wurde und heute ein Schattendasein fristet. Ein Überbleibsel der Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Die Nachricht von der DKP-Mitgliedschaft habe ihn überrascht, sagt der Ex-Kollege, der nicht genannt werden möchte. Doch er ist sich sicher: „Lucas ist kein Stalinist, sondern ein Menschenfreund.“

    Zeise kommt in der Zeit um 1968 zum Marxismus. Er stammt aus einem bürgerlichen Elternhaus in Bayern und studiert nach dem Abitur zunächst Philosophie in Edinburgh, wo er nebenbei leidenschaftlich Theater spielt. Er trägt sich mit dem Gedanken, Regisseur zu werden, stellt dann aber fest: „Ich krieg’s nicht hin, mich für relativen ästhetischen Kleinkram nach vorn zu drängen.“ Stattdessen entscheidet er sich für ein Zweitstudium der Volkswirtschaftslehre an der damaligen Reformuniversität Regensburg. Dort engagiert er sich politisch für die DKP-nahe Studentenorganisation MSB Spartakus und erwirbt sich einen gewissen Ruf. Einmal lädt ihn der damalige Regensburger Theologieprofessor und spätere Papst Josef Ratzinger ins Seminar ein. „Es ging um das Thema friedliche Koexistenz der Systeme, und ich sollte die Position der Sowjetunion dazu vortragen“, erinnert sich Zeise. „Das habe ich gemacht, nämlich: Kommunisten glauben natürlich, dass der Sozialismus ökonomisch und ideologisch überlegen, der Frieden also in ihrem Interesse ist. War eine nette Diskussion, aber dann kamen zwei Soziologie-Professoren, die wutentbrannt fragten, was ich mir erlaube, solches Zeug zu erzählen.“

    Zeise würde damals gern an der Uni bleiben, rechnet sich aber als Linker keine Chance auf eine akademische Karriere aus. Zudem sei seine Arbeitsweise, „ziemlich chaotisch“ gewesen, sagt er heute. Er hätte auch Maoist werden können – entsprechende Gruppen seien an der Uni stark vertreten gewesen – doch die Praxisnähe der DKP habe ihn letztlich überzeugt. 1973 tritt er der Partei bei, und praktischerweise bekommt er dank ihr nach dem Studium gleich Arbeit.

    Ein Genosse, der selbst dort arbeitet, weiß von einem Job bei der japanischen Außenhandelsförderorganisation Jetro in Düsseldorf. Zeise kriegt die Stelle, liest fortan viel Zeitung, außerdem die Konjunkturberichte der Bundesbank und der Wirtschaftsforschungsinstitute. Seine Lektüre fasst er gelegentlich auf Englisch zusammen. Eine langweilige Beschäftigung für einen ambitionierten Menschen. Abends geht er in die DKP-Ortsgruppe, tritt aber nicht öffentlich, etwa bei Demonstrationen, auf. „Das ist die Praxis geblieben, die ich dann immer verfolgt habe. Ich habe auch nur einer begrenzten Zahl Genossen mitgeteilt, wo ich arbeite. Sonst hätte sich das herumgesprochen.“

    Auch Zeises nächster Job – Referent für Marketing bei der ebenfalls in Düsseldorf ansässigen Aluminium-Zentrale, die den Absatz des Leichtmetalls fördern soll – ist wenig aufregend. Aber er darf dort den Wirtschaftsteil der Fachzeitschrift »Aluminium« gestalten. So bekommt er Kontakt zu Wirtschaftsjournalisten, ist angetan von dem Beruf und den Verdienstmöglichkeiten. 1984 schafft der Vater dreier Kinder (später kommt noch ein viertes hinzu) den Sprung zur »Börsen-Zeitung«. Zunächst ins Unternehmensressort, dann ins Kernressort des Blattes, in dem Aktien-, Anleihe- und Devisenmärkte analysiert werden und das er später leitet. Ein Kommunist als U-Boot beim Klassenfeind – steckte dahinter etwa eine Strategie? „Nein“, sagt Zeise und grinst. „Weder bei mir noch bei der Partei. Die wäre dazu auch gar nicht fähig gewesen.“

    Als Finanzjournalist fängt er Feuer für ein Thema, das ihn bis heute nicht loslässt: die Funktion des Geldes. „Wir standen oft vor den Reuters-Terminals, auf denen die Kurse einliefen, rauchten und fragten uns: ,Was ist Geld?‘“, erinnert sich sein langjähriger Kollege an die gemeinsame Zeit. Eine Antwort, die Zeise in seinem 2010 erstmals erschienenen Buch „Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus“ gibt, lautet: Es sei „Menschenwerk und doch Geheimnis“.

    Die Neugier auf das, was die Finanzmärkte bewegt, verbindet Zeise mit seinen Lesern und Informanten, darunter sind hochrangige Banker. Was den Marxisten reizt, ist die Nähe zu den wichtigen Spielern auf den Märkten: Von ihnen erfährt er aus erster Hand, wie das System funktioniert. Dafür muss er mit seiner wahren Meinung hinterm Berg halten. Zum Beispiel beim Thema Wiedervereinigung. Wenn das Gespräch darauf kommt, verzieht er säuerlich das Gesicht und schweigt. Das Ende der DDR ist für ihn auch persönlich ein schwerer Schlag, weil damit für ihn der Traum eines Sozialismus hierzulande zu seinen Lebzeiten ausgeträumt ist.

    Nach Feierabend schreibt Zeise unter seinen Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat im DKP-Parteiblatt »Unsere Zeitung« (»UZ«) sowie in den »Marxistischen Blättern«. Sein Publikum dort sind Gleichgesinnte und der Verfassungsschutz. Interessanterweise unterscheiden sich etliche dieser Texte gar nicht so sehr von denen unter Klarnamen: Hier wie dort geht es ihm um die Bewegung des Geldes. Zeise entwickelt sich „zu einem der besten Analytiker des Kapitalismus“, so sein langjähriger Kollege. Zum Nutzen der Leser der »Börsen-Zeitung«, die ihr Vermögen mehren wollen. Zeise sieht es so: „Wer die realen Zusammenhänge erkennt, der ist für das Kapital natürlich viel besser brauchbar als jemand, der den Kopf in der Luft hat.“

    Dass eher links stehende Analytiker und Publizisten in der Finanzbranche Gehör finden, hat auch mit den Leerstellen des ökonomischen Hauptstroms zu tun. In der dominierenden neoklassischen Lehre ist Geld schlicht ein Tauschmittel auf Märkten, die allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Wie das Geld in die Welt gekommen ist, welche Funktion es noch haben könnte und welche Risiken spekulative Bewegungen des Kapitals bergen, solche Fragen werden nicht gestellt. Dies ist der Grund, wieso führende Ökonomen die globale Finanzkrise von 2008 – unter der Abermillionen Menschen bis heute leiden und die zum Aufstieg autoritärer Bewegungen und Parteien geführt hat – nicht voraussahen. Sie war in ihren weltfremden Modellen schlicht nicht vorgesehen.

    Im Jahr 1999, Zeise ist damals bereits 55, bekommt er die Chance, die damals neu gegründete (und 2012 wieder eingestellte) »Financial Times Deutschland« (»FTD«) mit aufzubauen. Das Mutterblatt schätzt er bis heute: „Die machen seit mehr als 100 Jahren zu ihrem Thema, was im Finanzsektor passiert.“ Seine ehemaligen »FTD«-Kollegen sagen fast nur Gutes über Zeise. Stefanie Burgmaier, die damals mit ihm das Frankfurter Büro bezog und heute Geschäftsführerin der Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH ist, fand ihn „fachlich und menschlich sehr angenehm. Was die Finanzmärkte anging, war er eher skeptisch, im Börsenjargon ein Bär. Die Finanzkrise hat ihn in dieser Haltung sicher noch bestärkt.“ Ähnlich sieht es der Ex-»FTD«-Mann Dirk Benninghoff, mittlerweile Chefredakteur bei der PR- Agentur Fischer-Appelt in Berlin: „Ich habe ihn als intelligent und zurückhaltend erlebt, er war kein Dampfplauderer.“ Allerdings frage er sich: „Wieso arbeitet ein Kommunist ausgerechnet bei einer Zeitung, die marktliberal ist? Das ist so, als ob ein Fußballhasser über die Bundesliga berichten würde.“

    Zeise kann sich mit dem Bild nicht anfreunden: „Ich hasse die Ökonomie nicht, ich lehne nur den Kapitalismus ab, also die Form, in der sie organisiert ist. Die Sache selbst ist – anders als Fußball – von großer Wichtigkeit. Sie macht den Kern unserer Gesellschaft aus, und mein Interesse daran ist echt.“
    Nun publiziert er unter Klarnamen: Lucas Zeise alias Margit Antesberger

    Daher publiziert er auch unermüdlich weiter. Einige Zeit ist er Chefredakteur der »UZ« in Essen, wo er mit den gleichen Problemen zu tun hat wie früher in der bürgerlichen Presse: „Gute Autoren zu finden ist schwierig.“ Den Posten hat er mittlerweile an einen jüngeren, „sehr fähigen“ Nachfolger abgegeben. Derzeit schreibt Zeise an einem Buch mit dem Titel „Das Finanzkapital“, es soll im Frühjahr erscheinen.

    Bleibt die Frage, wieso er der DKP, die die meisten Genossen nach dem Ende der DDR verließen, treu geblieben ist. Er sagt: „Weil ich ja nicht wegen der DDR eingetreten bin, sondern weil ich den Kapitalismus abschaffen wollte – und noch will.“

    Vielleicht gibt es noch einen anderen, romantischeren Grund: die Freude, eine so lange heimlich gepflegte Verbindung nicht mehr verbergen zu müssen. ---

    Die DKP wird 1968 in der Bundesrepublik gegründet, wo die KPD 1956 – unter starkem politischem Druck der Adenauer-Regierung – vom Bundesverfassungsgericht verboten worden war. Die Linie für die DKP wird im Wesentlichen von der SED-Führung in der DDR vorgegeben, was unter den West-Genossen immer mal wieder zu Diskussionen und Häutungsprozessen führt. Zu Hochzeiten hat die Partei nach eigenen Angaben bis zu 57 000 Mitglieder. Dazu zählen Intellektuelle wie der Schriftsteller Uwe Timm und der Regisseur Franz Xaver Kroetz. Die DKP hat einigen Einfluss, unter anderem auf die Friedensbewegung der Achtzigerjahre, aber – anders als kommunistische Parteien in Italien oder Frankreich – keinen Erfolg an der Wahlurne. Bei Bundestagswahlen kommt sie nie über 0,3 Prozent. Nach dem Ende der DDR wenden sich viele Mitglieder ab oder der PDS und später der Linken zu. Heute hat die DKP noch rund 3500 Getreue. Jüngst durfte sich die Partei über eine Großspende in Höhe von 352 420,50 Euro freuen. Von dem Kapitalversteher Lucas Zeise stammt sie, wie er versichert, nicht.

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