„Magic Mike“ am Potsdamer Platz

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    23.02.2024 von Kevin Gensheimer - Unser Autor kannte Stripshows bisher nur aus Filmen. Für unsere Serie „Was tun bei schlechtem Wetter?“ hat er sich die Sixx-Paxx-Show in Berlin angesehen.

    Nur wenige Meter von mir entfernt, buchstäblich zum Greifen nah, steht er vor mir: der Popstar, den Generationen von Fans auf der ganzen Welt vergöttern. Er trägt die ikonische rote Lederjacke aus dem weltbekannten Musikvideo, das in den 1980er-Jahren bereits meinen Eltern das Fürchten lehrte. Seine Welthits schallen aus den Boxen des Clubs und er gleitet mit seinen Füßen rückwärts über den Boden, fast so, wie man es von ihm gewohnt war.

    Kurz darauf zieht sich Michael Jackson bis auf die Unterhose aus.

    Rund 100 Frauen johlen und kreischen und applaudieren dem „King of Pop“ weiter zu. Michael ist tot, und trotzdem habe ich mich wie alle anderen schnell drauf eingelassen.

    Alle kennen die Chippendales, das ist diese amerikanische Tänzergruppe, deren Mitglieder außer schwarzen Fliegen um den Hals wenig tragen. Ich kannte diese Muskel-Männer bislang nur aus dem Fernsehen und aus Erzählungen über wilde Jungeselinnenabschiede. Seit dem Film „Magic Mike“ aus dem Jahr 2012 ist das Phänomen männlicher Stripper bekannt. Ich habe alle drei Teile von „Magic Mike“ gesehen, nur der erste lohnt sich.

    Was genau aber bei solchen Stripshows im echten Leben passiert – egal ob sich Männer oder Frauen auf der Bühne ausziehen – war mir bislang ein großes Rätsel. Mit einem guten Freund verabrede ich mich zu einer solchen Show am Potsdamer Platz, um dieser Frage nachzugehen.

    Sixx-Paxx-Show am Potsdamer Platz: Im Publikum fast nur Frauen

    Vor dem Club steht schon rauchend meine Begleitung, neben ihm eine Schlange Frauen. Einmal drin werde ich vom Chef des Ladens mit festem Händedruck begrüßt. In der Mitte des ungewöhnlich kleinen Clubs ist eine quadratische Bühne aufgebaut, die auf jeder Seite offen ist und mit Vorhängen ringsherum verhüllt werden kann. Drumherum stehen Stühle in Reihen und um Tische rum. An den Wänden befinden sich Separees. Die Show geht gleich los; der Club ist ausverkauft.

    Während ich mich unterhalte, baut ein Kellner einen Tisch für uns auf, mittig vor der Bühne, ein absoluter Premiumplatz.

    Zu meiner linken sitzt eine Frauengruppe aus Eisenach, die den Junggesellenabschied von Verena feiert. Da ich kein junges Eheglück in Gefahr bringen will, habe ich ihr hier einen anderen Namen gegeben. Sie bemerken, dass sie neben den beiden einzigen Männern im Publikum sitzen: Kreischerei. Verena und ihre Freundinnen tragen leuchtende Reifen in den Haaren, trinken Sekt und Sprudelwasser. Sie sagen, sie seien in einer Stretch-Limousine zum Stripclub gekommen.

    Plötzlich wird es dunkel, nur die Haarreifen der Frauen aus Eisenach leuchten weiter. Dann Studionebel. Im Dunkeln kann man erahnen, dass eine Handvoll Männer die Bühne betritt. Das Licht geht an und beleuchtet grell die Männer auf der Bühne. Ich werde geblendet, aber erkenne, dass sie mir alle direkt in die Augen schauen. Ist es nur Zufall?

    Sixx Paxx, so nennen sie sich, eine Gruppe von wechselnden Tänzern, die in Berlin auftreten, aber auch durch Deutschland touren mit ihrer Show. Bekannt wurden sie durch eines ihrer berühmtesten Mitglieder, Marc Terenzi, der Exmann von Sarah Connor. Tickets kosten ab 50 Euro aufwärts, anschließend können einzelne Tänzer in Separees für einen Lapdance gebucht werden.

    Schon nach wenigen Takten Musik werden die Sixx Paxx ihrem Namen gerecht: Sie reißen sich ihre schwarzen Unterhemden vom Leib. Kreischerei. Kurz darauf betritt eine Dragqueen die Bühne. Sie nennt sich „Mataina Vagina“ und stellt zu Beginn der Show die sechs Tänzer vor.

    Sie haben Künstlernamen wie Bryan McFly, Curtis Johnson oder Leon Rush. Mein Liebling ist zunächst der Stripper namens Junio Muniz, weil er ein wenig aussieht wie der junge Robert Downey jr. Mataina Vagina setzt derweil andere Prioritäten. Sie stellt ihn als „Sunnyboy, den jeder ficken will“ vor. Kreischerei.

    Die Männer schwirren aus. Sie laufen durchs Publikum und tanzen die Frauen an, denen das direkt zu gefallen scheint. Mit Gelnägeln bestückte Hände streifen über nackte Oberkörper. Einige Frauen spielen den fremden Männern am Gürtel herum, trauen sich direkt ein wenig tiefer.

    Zu meiner rechten sitzt eine blonde Frau, die mir erzählt, dass sie Kandidatin bei der aktuellen Staffel von „Der Bachelor“ war. Während Curtis Johnson auf ihrem Schoß sitzt, sie ihn streichelt, denke ich daran, dass sie vor der Show noch ihre Bedenken hatte: „Ich bin viel zu prüde hierfür!“

    Auch Verena zu meiner Linken ist beschäftigt: Für echtes Geld kann man sich falsches Geld kaufen, das man den Männern in die Hose steckt. Ihre Freundin filmt alles. Verena nimmt ein Geldbündel und steckt es dem Mann in den Hosenbund, vorne seitlich. Sie schreit und jubelt für alle hörbar: „Ich war an seinem Schwanz!“
    Ein Höhepunkt der Show: Die Dusch-Nummer

    Waren Striptease lange Zeit vor der allgemeinen Verfügbarkeit der Pornografie eines der wenigen erotischen Kulturphänomene, ziehen Stripshows heute den Reiz besonders aus ihrem Eventcharakter. Es sind große unterhaltsame Veranstaltungen mit schillernden Tänzern, die keine Scheu haben, das Publikum zu berühren. Es ist nicht ganz genau bekannt, wann der Mensch begann, sich vor anderen erotisch zu entkleiden.

    Völlig verschwitzt vom bloßen Zusehen stehen wir mit mehreren Frauen vor dem Eingang und rauchen. Die Frauen unterhalten sich. „Echt? Du hast auch keine Gebärmutter mehr?“, weht es zu mir herüber. Ein feministischer Solidaritätsmoment vorm Strippschuppen, in einer Wolke aus Parfüm und Marlboro Gold.

    Vorm glitzernden Lotus höre ich die Stimme von Mataina Vagina im Saal. Den Frauen wird offenbar noch mal ordentlich eingeheizt. Zwischendrin unterhalte ich mich mit einer jungen Frau aus der Eisenacher Jungeselinnen-Gruppe. Als Pädagogin gehört sie zum systemrelevanten Teil in unserer Gesellschaft. Der Verlobte, so erfahre ich, vergnügte sich bereits als Junggeselle ein letztes Mal – selbstverständlich auf der Reeperbahn.

    Die Zeit für Reinaldo Silvas Soloauftritt ist gekommen. Er hat ein weißes Frotteehandtuch um die Hüfte gewickelt und steht allein auf der quadratischen Bühne. Von oben prasselt Wasser auf ihn und zu Joe Cockers Fummelkracher „You Can Leave Your Hat On“ lässt er das weiße Stück Badetextil fallen, bis er nur noch in Unterhose auf der Bühne steht, genauso eng wie die von Michael Jackson am Anfang. Doch das Publikum wirkt erschöpft: Ist es nach rund zwei Stunden Striptease reizüberflutet?

    Dabei ist dieser Moment eigentlich der Höhepunkt dieser Show. Die nassen Muskeln, sein Blick, das Lied, das wirklich jeder kennt. Der Mann bietet seinen Körper stolz an, wie alle Stripper vor ihm wird auch er im letzten Moment immer ein Feigenblatt vor seinen Schritt halten.

    Rhythmisch bewegt er seinen Körper unter der Brause. Dann geht er zu einer Zuschauerin in der ersten Reihe, schaut ihr tief in die Augen. Sie zögert, erst als Reinaldo Silva mit dem Finger auf den Reißverschluss zeigt, öffnet sie zurückhaltend seinen Slip. Dann steht er nackt auf der Bühne, nur noch ein völlig durchnässtes Handtuch zwischen den Beinen. Wieder Kreischerei.

    Die anderen Sixx Paxx kommen auf die Bühne. Sie tragen Matrosenkostüme und trocknen den Boden. Matrosen also, Männer, deren einzige Frau die raue See ist. Auch sie ziehen sich viel zu schnell aus. Für feinsinnige Erotik ist die Menge an diesem Abend wohl nicht mehr zu haben.

    Ich weiß, wer du bist, wenn du anfassen willst, einfach anfassen.
    Leon Rush, Stripper

    Leon Rush geht auf mich zu und sagt mit leicht russischem Akzent: „Ich weiß, wer du bist. Wenn du anfassen willst, einfach anfassen.“ Meine Begleitung lässt sich sofort auf das Angebot ein und streift über seine Brust. Leon breitet derweil seine muskulösen Arme aus und ruft: „Jetzt kommt mal her, ihr Männer!“ Wir stehen auf und er umarmt uns beide ganz fest. Seine verschwitzten Brustmuskeln drückt er an meinen Kopf und ich spüre wie sein Schweiß meine Schläfe heruntertropft.

    Ich möchte mich noch einmal mit der „Bachelor“-Kandidatin unterhalten, aber auf ihr sitzt wieder so ein Typ und macht anzügliche Bewegungen. Er drückt ihr einen falschen Geldschein in die Hand und sagt: „Steck ihn schön tief rein!“ Zur große Schlussnummer kommen alle Männer noch mal auf die Bühne. Kreischerei. Währenddessen stellen ein paar Kellner die Tische weg. Da, wo noch vor wenigen Minuten Eiskübel mit Secco-Flaschen und Tischfeuerwerk ausgeben wurden, wird nun getanzt.

    Aus dem Theater wird ein Ladys-Club.

    Einige Stripper tanzen auf der Bühne weiter. Andere rauchen vor der Tür erst mal eine Zigarette. Wieder andere können für 50 Euro für einen Privat-Dance im Separee gebucht werden. Meine Freundinnen aus Eisenach legen zusammen. Verena freut sich.

    Vor der Tür unterhalte ich mich mit Mataina Vagina. Ich biete der Dragqueen eine Zigarette an. Wir unterhalten uns über die hohen Mietpreise in Berlin und dass sie North America Studies am Goldsmiths College in London und in Turin studiert hat. Sie redet von der Rente und von ihrem Freund und dass sie sich gerade eine Wohnung im idyllischen Chemnitz gekauft habe. Dann zeigt sie mir ihre Polster am Hintern. Mit meinem Finger drücke ich in das weiche Teil; er versinkt darin ganz langsam.

    Die Frauen auf der Tanzfläche schenken mir keine Beachtung. Zwischen den muskulösen Männern, die nun noch nahbarer erscheinen, fühle ich mich fehl am Platz. Ich hole meine Zuhälter-Jacke und werfe sie mir über. Auf dem Weg nach draußen treffe ich dann noch mal die „Bachelor“-Kandidatin. Sie umarmt mich fest und nennt mir ihren Instagram-Namen. Ich habe ihr bisher noch nicht geschrieben.