13.5.2023 von Peter Neumann - Es ist eine kleine Sensation: In Berlin können Dinge draußen stehen, ohne beschmiert oder beschädigt zu werden. „Die Infotafeln, die wir hier vor einem Jahr aufgestellt haben, sind immer noch da“, sagt Matthias Heskamp. Auch die Bänke, die aus Pflastersteine, Holz und Gurten gebaut, sind bislang keinem Vandalismus zum Opfer gefallen. Für den Berliner Architekten und sein Radbahn-Team ist das ein gutes Omen.
Ein gutes Zeichen für den nächsten Schritt, den sie hier, unter dem Hochbahnviadukt auf der lauten Skalitzer Straße in Kreuzberg, bald gehen möchten. Nicht mehr lange, dann fallen auf dem Mittelstreifen 24 Autostellplätze weg. Auf dem freiwerdenden Platz entsteht etwas Neues. „Es geht los“, kündigt Heskamp am Sonnabend an.
Radbahn Berlin: Das ist ein Vorhaben, bei dem sich seit den Anfängen vor fast einem Jahrzehnt die Schwerpunkte gewandelt haben. Zunächst stand im Fokus, auf den neun Kilometern zwischen dem Bahnhof Zoo und dem Schlesischen Tor eine Radverbindung zu schaffen. „Es begann damit, dass uns jemand anrief: Warum kann ich nicht unter der Hochbahn fahren – vor Sonne und Regen geschützt“, erinnert sich Heskamp. So fing es an, die Idee war geboren. Und sie wurde immer größer. 2015 nahm sie an Tempo auf.
Ein großer Teil der neuen Ost-West-Radroute sollte unter dem stählernen Viadukt verlaufen, auf dem seit mehr als 120 Jahren U-Bahnen in Richtung Warschauer Straße fahren. Skizzen entstanden, dann Pläne, schließlich ein Buch. „Wir haben eine Menge Schaum geschlagen“, so beschreibt es Heskamp im Rückblick. Der Verein Paper Planes professionalisierte sich. Der Senat und später auch der Bund wurden als Geldgeber gewonnen. Inzwischen arbeiten zehn Menschen an dem Projekt, dessen Förderung, bislang mehr als 3,1 Millionen Euro, vor Kurzem bis Mitte 2024 verlängert wurde.
„Doch es geht längst nicht mehr nur ums Radfahren“, sagt Heskamp am Sonnabend. Bei der Führung am Tag der Städtebauförderung muss er in ein Mikrofon sprechen, auf dem lärmumtosten Mittelstreifen der Skalitzer Straße wäre er sonst kaum zu hören. Die Radbahn ist ein Städtebauprojekt geworden, nun geht es um die Veränderung des städtischen Raums. „Wir wollen zeigen, dass er mehr kann als nur für Autos da zu sein“, so der Planer. Das ist auch eine Reaktion auf die Zweifel, ob der von vielen Querstraßen gekreuzte, mitunter schmale Weg unter dem Viadukt für längere Fahrradstrecken geeignet ist. Von einer schnellen Radverbindung spricht inzwischen niemand mehr.
In drei Wochen ist der Mittelstreifen in diesem Bereich für Autos tabu
Um zu erproben, was notwendig und möglich ist, wurde ein Abschnitt unter der Hochbahn, der im Osten an der Kreuzung am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof beginnt, im vergangenen Sommer zum Reallabor erklärt. Dort stehen die Info-Tafeln und Sitzgelegenheiten, von denen anfangs die Rede war. Manchmal kann man hier Kaffee trinken und sein Fahrrad reparieren. Zimtahorn, Traubenkirsche, Gemeine Felsenbirne und ein Kanadischer Judasbaum wurden gepflanzt, auch sie sind unbeschadet.
Blaue und grüne Lichtschlangen unter dem 3,40 Meter hohen Viadukt markieren den Bereich des Reallabors. Neu ist nun, dass in westliche Richtung ein rund 200 Meter langes Testfeld hinzukommt, das mindestens bis zur Mariannenstraße reichen wird.
Das künftige Testfeld auf dem Mittelstreifen der Skalitzer Straße in Kreuzberg. Alle Autostellplätze fallen von Juni an weg, die Flächen werden entsiegelt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat das genehmigt.
Das künftige Testfeld auf dem Mittelstreifen der Skalitzer Straße in Kreuzberg. Alle Autostellplätze fallen von Juni an weg, die Flächen werden entsiegelt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat das genehmigt.Peter Neumann/Berliner Zeitung
Laut hupend feiern Autofahrer auf der Skalitzer Straße eine Hochzeit. Woanders wird gehupt, weil ein Auto an der Ampel nicht schnell genug losfährt. Eine U1 lässt das Viadukt erzittern. Wieder sind die Teilnehmer der Führung froh, dass sie dem Vortrag mit Kopfhörern folgen können. Am 20. Juni, sagt der Radbahn-Macher, sollen die Arbeiten am Testfeld beginnen. Für den 31. August, der zum Aktionstag erklärt werden soll, sei die Eröffnung geplant: „Das ist dann der neue Zwischenstand unseres Projekts.“
Taubenkot ist ein Problem
Immer wieder muss die Gruppe unter dem Viadukt zur Seite gehen, weil ein Auto vorbei will. „In drei Wochen werden hier keine Autos mehr fahren dürfen“, erklärt Heskamp. Dann tritt eine Anordnung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg in Kraft, die den motorisierten Verkehr aus diesem Bereich aussperrt und alle Stellplätze aufhebt. Für rund zwei Dutzend Fahrzeuge, von denen gemessen am Taubenkot auf dem Lack einige schon länger hier stehen, müssen andere Orte gesucht werden. Überhaupt die Tauben: Noch immer wird nach einer Lösung gesucht, sie zumindest zum Teil zu vergrämen.
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Was wird auf dem Testfeld geschehen? Zum Beispiel werden sämtliche Parkplätze entsiegelt, so der Radbahn-Sprecher. Die Steine werden aufgenommen und neu verlegt, dann aber mit zwei Zentimeter breiten Fugen, was eine Versickerung des Regenwassers zulässt. Auf sechs verschiedene Arten wird gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin erprobt, wie der Grundwasserspiegel aufgefüllt werden könnte und Regenwasser verdunstet. Bereiche werden begrünt. Damit sich Menschen treffen können, entstehen „Interaktionsinseln“. Paten könnten Beete bepflanzen, Vogelhäuschen sollen Sperlinge anlocken. Auch Fledermäusen und Eidechsen soll das Testfeld Heimstatt bieten.
Nördliche Fahrbahn der Skalitzer Straße soll für Fußgänger geöffnet werden
Im Ernst? Mitten auf der lauten, schmutzigen Skalitzer Straße? „Ich bin hier auch nicht gern, aber wir müssen ein paar Jahre weiter denken. 20 Jahre weiter“, sagt Matthias Heskamp. Inzwischen ist sei das Blickfeld noch weiter geworden. Vor Kurzem wurde die Machbarkeitsuntersuchung vorgestellt, die der deutsche Ableger des dänischen Planungsbüros Ramboll für den Senat und den Bezirk erstellt hat.
Deren Autoren gaben der Variante B den Vorzug. Danach soll der Kraftfahrzeugverkehr zwischen dem Schlesischen und dem Kottbusser Tor auf der Südseite der Skalitzer Straße zusammengefasst werden. Statt vier Fahrstreifen in beiden Richtung stünden künftig noch zwei zur Verfügung. Die Nordfahrbahn würde Fußgängern und Radfahrern überlassen. Ein benachbarter Park könnte direkt ans Testfeld anschließen, künftig wäre es viel ruhiger als heute, sagte Matthias Heskamp.
Anders als zu den Anfängen der Radbahn würde sich die Entwicklung also nicht auf den mittleren Bereich der Skalitzer Straße konzentrieren, weitere Teile würden einbezogen. Doch das Radbahn-Team sieht seine Arbeit nicht entwertet. „Wir haben Dinge angeschoben, die nun weiter getrieben werden“, sagt Heskamp. „Das ist doch schön.“
Wird die neue Mobilitätssenatorin Schreiner das Projekt unterstützen?
Berlins neue Mobilitätssenatorin Manja Schreiner (CDU), die ihre Vorgängerin Bettina Jarasch (Grüne) abgelöst hat, machte allerdings zumindest bislang nicht mit Plädoyers für die Umwidmung von Hauptverkehrsstraßen von sich reden. „Wir werden sehen, wie sich die Politik jetzt äußert“, so Heskamp. Erste Kontakte habe es bereits gegeben, und was die zentrale Idee anbelangt, sei man nicht weit voneinander entfernt.
Es geht um ein besseres Miteinander auf Berlins Straßen – das betont auch die neue Senatorin immer wieder. Der Radbahn-Macher ist zuversichtlich, dass sich das Projekt weiter entwickelt. „Die Sterne sind hell.“